sabato 23 agosto 2014

Il libro recensito dal settimanale svizzero Die Weltwoche

Qui la recensione, in tedesco, del settimanale svizzero Die Weltwoche, curata all'epoca da Walter De Gregorio, attuale capo comunicazione della Fifa.
 
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2010-14/artikel-2010-14-sport-verschollen-und-vermisst.html

Verschollen und vermisst

Der russische Fussballer Eduard Strelzow schaffte nach acht Jahren Gulag ein Comeback. FCZ-Spieler Ludovic Magnin kam schon einen Tag nach Ostern zurück.
Von Walter De Gregorio
Fast termingerecht präsentiert der Italiener Marco Iaria nächste Woche ein Buch zum zwanzigsten Todestag von Eduard Strelzow (er starb 1990 mit nur 53 Jahren), das sich liest wie ein Science-Fiction-Roman.* Das Buch gibt Einblick in die alte Kommunistische Partei Russlands (KPdSU) zur Zeit Chruschtschows. Zugleich hilft uns das Buch vermutlich ohne Absicht des Autors –, das Phänomen Ludovic Magnin zu erklären: zwei Verschollene, die zurückfinden in ihren Beruf.
Bei Strelzow, Jahrgang 1937, ging es ein bisschen länger, bis er wieder Fuss fasste. Acht Jahre nachdem ihn die damalige Parteispitze in den Gulag schickte, wurde er mit Torpedo Moskau wieder Meister. Magnins Vermisstenanzeige konnte der FC Zürich bereits am Ostermontag zurückziehen – nach nur wenigen Monaten Suche. Beim 3:2-Sieg im Derby spielte Ludovic Magnin erstmals von Anfang an mit. (Gemäss Match-Telegrammen stand er zwar schon oft in der Startformation, doch niemand hat ihn gesehen.)
Wir wollen die historischen Fakten nicht verwässern und falsche Vergleiche anstellen, drum sei gleich gesagt, dass Eduard Strelzow ein hervorragender Fussballer war. Er war noch keine siebzehn Jahre alt, als er sein erstes Tor schoss in der höchsten Liga – als jüngster Torschütze der UdSSR. Mit achtzehn war er bereits Torschützenkönig und debütierte in der Nationalmannschaft mit drei Toren gegen Schweden. 1956 gewann er die Goldmedaille an den Olympischen Spielen in Melbourne. Der sowjetische Geheimdienst KGB hatte ihn vor dem Turnier bereits auf der schwarzen Liste: als vermeintlichen Konterrevolutionär.

Gefährliche Freiheiten

Strelzow nahm sich Freiheiten heraus mit seinem Lebensstil (Wodka, Frauen) und seinem politischen Ungehorsam (er weigerte sich sowohl, für den Klub des KGB, Dynamo Moskau, als auch, für jenen der Roten Armee, ZSKA Moskau, zu spielen); Freiheiten, die allein dadurch gefährlich schienen, dass es Freiheiten waren. Die Avancen der Tochter eines hohen Politbüro-Mitglieds umdribbelte er mit der uncharmanten und politisch inkorrekten Bemerkung, sie gleiche «einem Affen». Was die Sache vermutlich nicht erleichterte.
Nur dank Fürsprache des Trainers und der Nationalmannschaftskollegen durfte Strelzow am Olympia-Turnier in Melbourne mitmachen, den Final gegen Jugoslawien musste er auf Befehl Chruschtschows aber sausenlassen. Danach ging es bergab mit dem «George Best der Sowjetunion» – und zwar wörtlich.
Acht Jahre lang arbeitet Strelzow in Kohlegruben tief unterm Berg, für die staatliche Industrie in Elektrostal schuftete er in hochverseuchten Uranminen. Seine Krebserkrankung, vermutet Biograf Marco Iaria, holte er sich in dieser Zeit. Wie Dokumente belegen, die Jahrzehnte später, nach Gorbatschows Perestroika, zugänglich wurden, hatte der KGB den besten (aber wohl nicht den schlausten) Fussballer, den die Sowjets je hatten, auf fiese Art hintergangen.
Kurz vor der WM 1958 nämlich war Strelzow beschuldigt worden, in eine Schlägerei verwickelt gewesen zu sein. Im Anschluss an die Keilerei soll der «Sputnik des modernen Fussballs» sturzbetrunken eine Frau vergewaltigt haben. Die Frau zog die Anzeige zwar zurück; die Anklage war eine Erfindung des KGB, wie wir heute aus den Archiven wissen. Doch Strelzow wurde zu zwölf Jahren Straflager verurteilt. Der Staatssicherheitsdienst hatte ihm ein Papier zur Unterschrift vorgelegt. Würde er unterschreiben, könne er mit der Nationalmannschaft an die WM fahren, wurde ihm versichert. Strelzow unterschrieb ein falsches Papier, das als Tatgeständnis galt.
Mit dem Sturz von Nikita Chruschtschow 1964 war der Höllentrip von Strelzow vorbei. Der neue Mann am Schaltpult der Macht, Leonid Breschnew, war ein Fussballfan und holte den genialen Spieler zurück ins Stadion. Am 15. April 1965 gab Strelzow bei Torpedo Moskau sein Comeback und trug mit zwölf Toren wesentlich zum Titelgewinn bei – in seiner ersten Saison nach dem Gulag! 1970, mit 33 Jahren, gab er nach einer Verletzung seinen Rücktritt und arbeitete jahrelang im Nachwuchs. 1997 wurde das Fussballstadion von Torpedo Moskau nach ihm benannt, wenig später wurde vor dem Nationalstadion in Moskau eine Statue eingeweiht, die ihn, mit dem Ball am magischen linken Fuss, verewigt.
«Es waren meine Mannschaftskollegen, die mir ein zweites Leben geschenkt haben», sagte Strelzow kurz vor seinem Tod und fügte, von politischer Altersmilde verschont, trotzig hinzu. «Es war nicht Breschnew.» Womit wir wieder bei Magnin wären. Er wurde diesen Winter von FCZ-Präsident Ancillo (ein rein dialektischer Vergleich mit Leonid) wieder ins Stadion geholt, nachdem er in der Bundesliga verschollen war. Magnins Auftrag: den dösenden FCZ wachzurütteln. Es kam anders, wie das Derby am Tag nach Ostern zeigte, nämlich umgekehrt. Es waren seine Mannschaftskollegen, die dem dösenden Magnin wieder Leben einhauchten. Ja, er bewegte sich.